Texterduell: Claude vs. ChatGPT. Wer textet besser?

Lesezeit: 8 Minuten

Lassen Sie uns Klartext reden: Die KI-Texttools, die gerade jeder nutzt, sind nicht alle gleich. Sie als Marketing-Profi haben vermutlich längst ChatGPT ausprobiert. Aber haben Sie schon mal einen Blick auf Claude geworfen? Nein? Dann wird es Zeit.

Der hyperaktive Praktikant gegen den fokussierten Profi

ChatGPT ist wie dieser überambitionierte Praktikant, der mit drei Red Bulls im System ins Büro kommt. Sprudelt vor Ideen, will alles gleichzeitig machen und neigt zu blumigen Ausschweifungen. Ohne klare Anweisungen bekommen Sie oft generische Ergebnisse – brauchbar, aber ohne Pep. Wie ein frischer Juniortexter, der noch nicht weiß, wann weniger mehr ist.

Claude hingegen? Der fokussierte Profi mit Struktursinn. Eher der Bücherwurm mit leichter Sozialangststörung: artikuliert, aber in ständiger Sorge, jemanden zu verärgern. Dieser digitale Kollege liefert von Haus aus klarere Texte, bleibt aber ohne konkrete Kreativitätsaufforderung eher sachlich-nüchtern.

Und ja, ich habe beide getestet. Nicht theoretisch, sondern mit echten Textaufgaben. Ungeschminkt, ohne Framework, ohne Regieanweisungen – einfach die nackte Wahrheit, was passiert, wenn Sie eine simple Anfrage stellen.

Die Wahrheit hinter den Interfaces

Beide Oberflächen sind aufgeräumt und intuitiv. ChatGPT wirkt dabei wie die knackige Windows-Version – funktional, aber kühl. Claude erinnert eher an die Mac-Variante – mit mehr gefühltem „Lecker“ im Look and Feel.

Der entscheidende Punkt? Bei beiden müssen Sie nacharbeiten. Erwarten Sie keine magischen Wundertexte, die sofort einsatzbereit sind. Diese KIs sind brillante Rohstofflieferanten – den Feinschliff müssen Sie oder Ihre Texter übernehmen.

Der Elefant im Raum: Kontextverarbeitung

Hier trennt sich die Spreu vom Weizen:

Claude verarbeitet bis zu 100.000+ Token – umgerechnet etwa 75.000 Wörter oder 300 Textseiten! Sie können komplette Recherchen, alte Texte oder umfangreiche Briefings hineinkopieren, und Claude behält den roten Faden.

ChatGPT hingegen stößt bei langen Konversationen schneller an Grenzen. Bei umfangreichen Projekten wie Whitepapern müssen Sie entweder in kleineren Häppchen arbeiten oder ein erweitertes Kontextfenster hinzubuchen.

Die praktische Konsequenz für Sie? Für umfangreiche Projekte punktet Claude durch sein Durchhaltevermögen, während ChatGPT bei knackigen Inputs und kurzen Texten brilliert. Was auch die Tester vom Semrush bestätigen.

Der Härtetest: Fünf Textaufgaben im Duell

Ich habe beide Systeme mit identischen Aufgaben konfrontiert. Keine Tricks, keine speziellen Anweisungen – nur die blanke Anfrage. Hier sind die realen Ergebnisse:

Test 1: Ideenfindung für Themen

Prompt: „Generiere 10 Themenideen für einen Artikel, der sich an Marketingleiter in mittelständischen Unternehmen richtet. Die Themen sollten sich um datengetriebenes Marketing drehen.“

Das Ergebnis von ChatGPT:

ChatGPT punktete hier mit ausführlicheren Titeln plus Untertiteln, die sofort eine klare Richtung vorgaben. Die Ideen wie „Von Bauchgefühl zu datenbasierten Entscheidungen“ oder „Vorbereitung auf die cookielose Zukunft“ boten konkretere Problemlösungsansätze und sprachen die Zielgruppe direkter an.

Das Ergebnis von Claude:

Claude lieferte solide, aber etwas allgemeinere Themenvorschläge mit weniger inhaltlicher Tiefe und weniger „Hooks“, die zum Weiterlesen animieren.

Mein Fazit: Bei der Ideengenerierung hat ChatGPT eindeutig die Nase vorn. Es bietet mehr inhaltliche Tiefe und ansprechendere Formulierungen, die direkt in die Content-Erstellung einfließen können.

Test 2: Werbetexte & Claims

Prompt: „Erstelle 5 kreative Slogans für eine neue Premium-Kaffeemaschine namens ‚BrewMaster X1‘, die besonders schnell aufheizt, einen integrierten Mahlwerk hat und per App steuerbar ist. Die Zielgruppe sind qualitätsbewusste Kaffeeliebhaber zwischen 30-45 Jahren, die Wert auf Design und Technologie legen“

Das Ergebnis von Claude:

Claude glänzte hier mit Slogans, die spezifischer auf die Produktmerkmale eingingen („Smart mahlen. Schnell brühen. Meisterhaft genießen.“). Die Claims hatten eine bessere Struktur und Rhythmus, endeten konsequent mit dem Produktnamen und positionierten das Produkt klarer im Premium-Segment.

Das lieferte mir ChatGPT:

ChatGPT blieb allgemeiner mit Slogans, die für fast jede Kaffeemaschine passen würden, ohne die spezifischen Alleinstellungsmerkmale wie App-Steuerung oder Schnellaufheizung zu betonen.

Mein Fazit: Für knackige Claims und verkäuferische Slogans mit Produktbezug hat Claude die besseren Karten.

Test 3: Strukturierte Blogartikel

Prompt: „Erstelle eine Gliederung für einen 1.500 Wörter langen Blogartikel zum Thema ‚Hybrides Arbeiten – Erfolgsmodell oder Übergangsphase?‘. Der Artikel soll sowohl auf die Vorteile als auch auf Herausforderungen eingehen und konkrete Tipps für Führungskräfte bieten. Gib bitte auch 3 alternative Titel für den Artikel an‘.“

Die Claude-Outline (Auszug):

Hier die vollständige Outline von Claude als PDF.

Claude überzeugte mit einer detaillierten Gliederung, die bei jedem Abschnitt konkrete Wortumfänge angab. Es teilte die Vorteile und Herausforderungen in verschiedene Perspektiven auf (für Mitarbeiter/Unternehmen, organisatorische/kulturelle Herausforderungen) und integrierte zukunftsorientierte Aspekte wie AR/VR. Die alternativen Titel waren eingängiger und emotionaler.

So strukturierte ChatGPT das Thema (Auszug):

Hier die komplette ChatGPT-Gliederung als PDF.

ChatGPT lieferte ebenfalls eine solide Struktur, die aber weniger differenziert und praxisorientiert ausfiel.

Mein Fazit: Für längere, strukturierte Inhalte bietet Claude ein besser durchdachtes, inhaltlich tieferes Framework. Claude hat bei Langtexten eindeutig die Oberhand.

Test 4: Tonalität und Markenstil

Prompt: „Schreibe einen kurzen Absatz (max. 100 Wörter) über nachhaltige Verpackungen im Stil der Marke Oatly – bekannt für ihren frechen, leicht ironischen Tonfall und die direkte Ansprache. Der Absatz soll erklären, warum das Unternehmen auf Plastik verzichtet.“

Der Packungstext von Claude:

Claude traf den Oatly-Ton perfekt mit Formulierungen wie „Hey du! Ja genau, DU da mit der Verpackung in der Hand“ und „Ist das übertrieben? Vielleicht. Aber weißt du was nicht übertrieben ist? Die Plastikinsel im Pazifik“. Der Textstil war prägnanter, mit einer geschickten Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit.

Das würde ChatGPT auf die Verpackung schreiben:

ChatGPT näherte sich dem Stil an, blieb aber mit Formulierungen wie „Plastik mag praktisch sein, aber es ist auch ein ziemlicher Stinker für den Planeten“ weniger markant und einprägsam.

Mein Fazit: Claude kann spezifische Markentonalitäten präziser und authentischer reproduzieren – ein überraschend deutlicher Vorteil.

Test 5: Emotionale Texte

Prompt: „Schreibe einen emotionalen Absatz (ca. 150 Wörter) über die Bedeutung von Teamarbeit in einem Start-up. Verwende bildhafte Sprache und Metaphern, um die Idee zum Leben zu erwecken.“

So textete Claude:

Claude glänzte mit reichhaltigen, vielfältigen Metaphern (Herzschlag, Wurzeln eines Baumes, Farben in einem Gemälde) und einer dynamischen Sprachrhythmik. Formulierungen wie „Teamarbeit ist der Herzschlag, der das zarte Unternehmen am Leben erhält“ erzeugten eine starke emotionale Verbindung.

Schalten wir um zu ChatGPT:

ChatGPT beschränkte sich überwiegend auf eine einzelne Metapher (das Segelboot), was den Text weniger vielseitig machte.

Mein Fazit: Für emotionale, bildreiche Texte liefert Claude eine breitere Palette an sprachlichen Mitteln und trifft besser den richtigen emotionalen Ton.

Durch den AI-Check fallen allerdings beide:

Claude-Variante:

ChatGPT-Text:

Texten unter Zeitdruck: Wer brilliert im Schnellcheck?

Ideenfindung & Brainstorming: ChatGPT gewinnt

Brauchen Sie zehn frische Kampagnenideen in zwei Minuten? ChatGPT ist Ihr Mann. Es sprudelt förmlich über vor Einfällen, wie unsere Tests bestätigen. Claude liefert weniger, dafür besser begründete Vorschläge.

Die Werbetext-Schöpfungen von ChatGPT erinnern manchmal an die glorreichen 80er Jahre, als man noch ungestraft „Power“ und „Dynamic“ in jeden zweiten Slogan packen konnte, ohne dass das Publikum mit den Augen rollte.

Strukturierte Inhalte: Claude hat die Nase vorn

Bei komplexen Themen, die eine klare Gliederung und logischen Aufbau erfordern, ist Claude in seinem Element. Die Tests zeigen es klar: Seine Blogartikel-Gliederungen sind durchdachter, mit konkreten Wortumfängen für jeden Abschnitt und tieferer inhaltlicher Differenzierung. Die Texte folgen einem roten Faden, Argumente bauen aufeinander auf, und am Ende fühlt sich der Leser tatsächlich informiert – nicht nur berieselt.

ChatGPT neigt dazu, unterwegs die Richtung zu wechseln oder in Aufzählungen abzudriften, wenn der Platz knapp wird. Es ist wie dieser Kollege, der beim Meeting immer zu jedem Punkt „noch einen kleinen Gedanken“ beisteuern muss.

Die Flexibilitäts-Frage

Wie reagieren die Systeme auf Korrekturen und Anpassungswünsche?

ChatGPT verhält sich wie der eifrige Berufsanfänger, der unbedingt gefallen will. Kritik wird sofort angenommen – manchmal zu unkritisch. „Absolut, Sie haben völlig Recht!“ ist die Standardantwort, selbst wenn Ihr Feedback fragwürdig ist.

Claude zeigt mehr Rückgrat. Das System nimmt Feedback an, weist aber auch höflich auf mögliche Widersprüche hin. Es ist wie der erfahrene Texter, der weiß, wann er nachgeben sollte und wann ein sanftes „Sind Sie sicher?“ angebracht ist.

Tonalität und Sprache: Die Königsdisziplin

Die größte Überraschung unserer Tests: Claude kann Tonalität besser treffen. Der Oatly-Stil-Test bestätigt es eindrucksvoll – Claude fängt den frechen, direkten Ton perfekt ein: „Hey du! Ja genau, DU da mit der Verpackung in der Hand.“ Auch bei emotionalen Texten brilliert das System mit bildhaften Metaphern und dynamischem Sprachrhythmus. Wenn Sie einen Text im Stil Ihrer Marke benötigen, liefert Claude differenziertere Ergebnisse. Das System scheint ein feineres Gespür für sprachliche Nuancen zu haben.

ChatGPT hingegen verfällt schnell in einen generischen „KI-Tonfall“ – freundlich, aber gesichtslos. Es ist die sprachliche Version einer Stock-Fotografie: technisch einwandfrei, aber ohne Charakter. Experten warnen: Auf die Bitte, „lockerer“ umzuschreiben, produziert ChatGPT manchmal unpassend flapsige Texte („Alright, folks, lassen Sie uns über ChatGPT reden…“). Claude übertreibt seltener und bleibt dem Briefing treu.

Die Wahrheit: Es kommt auf Sie an

Nach all diesen Tests bleibt eine unbequeme Wahrheit: Der entscheidende Faktor sind Sie selbst.

Die präzise Prompt-Formulierung ist wichtiger als die Wahl des Tools. Ein exzellenter Prompt bei ChatGPT schlägt einen lausigen Prompt bei Claude – und umgekehrt. Es ist wie bei einem Fotografen: Die teuerste Kamera nützt nichts, wenn Sie nicht wissen, wie man fokussiert.

Beide Systeme sind nur so gut wie Ihre Anleitung. Sie müssen lernen, was Sie hineingeben müssen, um das herauszubekommen, was Sie wollen. Der Fleiß-Advantage liegt bei Ihnen.

Mein Fazit für die eilige Texterinnen und Texter

Sie sind der Texterprofi mit Anspruch, derendlich Texte schreiben will, die herausstechen, statt nur solide zu sein. Hier meine ungeschminkte Empfehlung:

Nutzen Sie ChatGPT, wenn:

  • Sie schnell viele Ideen für ein Brainstorming brauchen
  • Sie einen ersten Entwurf für verkäuferische Texte benötigen
  • Sie humorvolle, leicht zugängliche Inhalte erstellen wollen
  • Sie mit kurzen Texten und knackigen Aufgaben arbeiten

Entscheiden Sie sich für Claude, wenn:

  • Sie an längeren, komplexeren Projekten arbeiten
  • Sie umfangreiche Kontexte und Briefings verarbeiten müssen
  • Sie Wert auf strukturierte, logisch aufgebaute Inhalte legen
  • Sie eine subtilere, differenziertere Tonalität anstreben
  • Sie Texte mit Tiefgang und weniger Floskeln benötigen

Am Ende des Tages sind beide Tools ernstzunehmende Assistenten, die Ihnen die Roharbeit abnehmen können. Die Feinarbeit – der Schliff, der Charakter, die Seele des Textes – das bleibt in Ihren Händen.

Die beste Strategie? Testen Sie beide. Entwickeln Sie ein Gefühl dafür, welches Tool für welche Aufgabe besser geeignet ist. Und vor allem: Behalten Sie die Kontrolle. Diese Systeme sind brillante Werkzeuge – aber am Steuer sitzen immer noch Sie.

Und während alle anderen noch darüber jammern, dass KI ihnen den Job wegnimmt, nutzen Sie beide Tools, um Texte zu schreiben, bei denen andere denken: „Wow, das ist richtig stark geschrieben.“ Das ist doch, was Sie wollen – oder?